Konsequenzen aus dem Patientenrechtegesetz
Vortrag eines Treffen der niedergelassenen Neurochirurgen Deutschlands e.V. am 14.09.2013, Mallorca
- Bereits nach einer – verglichen mit anderen Gesetzen – rechtspolitisch kurzen Diskussion über eine gesetzliche Regelung der Arzthaftung und weitergehend der Patientenrechte trat am 26.02.2013 das sogenannte Patientenrechtegesetz in Kraft.
- Die Reaktionen auf das neue Gesetz waren schon im Vorfeld vielfältig: maßvolle Kritik sprach von einem „Zugewinn an Rechtssicherheit trotz unvermeidlich unbestimmter Rechtsbegriffe“. Andere meinten, es läge „Kodifizierung ohne Zugewinn“ vor, es sei „ein Patientenrechtegesetz ohne Eigenschaft“.
Dieses Gesetz, welches erstmalig im wesentlichen die bis dahin gewachsene Rechtssprechung kodifiziert, reguliert primär die Pflichten der vergleichsweise kleinen Gruppe der Ärzte, die nicht mehr als „Heilsbringer“, sondern zunehmend als „Gefährdungspotenzial“ für die Bevölkerung genannt werden. Durch die Festschreibung des Behandlungsvertrages im BGB soll Transparenz und auch Rechtssicherheit geschaffen, die Rechtskenntnis der Patienten verbessert und sie in der Wahrnehmung ihrer Rechte gefördert sowie bestärkt werden. Vor allem soll der Patient zivilrechtlich besser gestellt werden.
Kern des Patientenrechtegesetzes sind die Vorschriften über den Behandlungsvertrag. Zunächst werden die charakteristischen Hauptleistungspflichten des „Behandlungsvertrages“ geregelt. Danach ist derjenige, welcher die medizinische Behandlung des Patienten übernimmt, zu deren Leistung, und der andere Teil, mithin der Patient zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Behandelnder soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht allein der Arzt, sondern auch die Vertreter anderer Gesundheitsberufe und Heilberufe wie Heilpraktiker, Hebammen, Ergo-, Psycho- und Physiotherapeuten sein. Dabei umfasst die geschuldete Behandlung neben der Diagnose die Therapie, also alle Maßnahmen und Eingriffe am menschlichen Körper, mit deren Hilfe Krankheiten, Leiden, körperliche Schäden und Beschwerden oder seelische Störungen verhütet, erkannt, geheilt oder gelindert werden sollen. Die Hauptleistungspflicht des Patienten – als Partei auf der anderen Seite des Vertrages – besteht in der Zahlung der Vergütung. Hinsichtlich des Patienten und der ihm obliegenden Vergütungspflicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Zahlpflicht nur besteht, soweit nicht ein Dritter (insbesondere gesetzliche oder private Krankenversicherung) zur Zahlung verpflichtet ist.
Im neuen Gesetz ist nunmehr auch das Thema „Mitwirkungs- und Informationspflichten der Patienten“ geregelt. Hierbei handelt es sich aber eher um eine Mitwirkungsobliengeheit des Patienten, deren Verletzung sich z.B. in einem Arzthaftungsprozess unter dem Aspekt „Mitverschulden“ zu Lasten des Patienten auswirken kann.
Verankert ist im Patientenrechtegesetz insbesondere auch die Informationspflicht des Behandelnden, also insbesondere des Arztes. Er muss – wie bislang schon von der Rechtssprechung entwickelt – nicht nur die ihm obliegende „therapeutische Aufklärung“ leisten, mithin erfüllen, sondern den Patienten auch über fremde und eigene Behandlungsfehler informieren. Diese Verpflichtung des Behandelnden greift dann ein, wenn für ihn Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen und entweder der Patient diesbezüglich eine Nachfrage gestellt hat oder die Information zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren benötigt.
Von sicherlich großer Bedeutung ist die jetzt im Gesetz verpflichtend geregelte wirtschaftliche Aufklärung. Danach muss der Behandelnde den Patienten darüber aufklären, ob und inwieweit die Krankenversicherung die Kosten der Behandlung übernehmen wird. Bedeutung wird dieser neuen Regelung dabei wohl vorrangig bei der gesetzlichen, weniger aber bei der privaten Krankenversicherung zukommen, weil der Behandelnde im Regelfall bei Fragen der Kostenübernahme bei der gesetzlichen Krankenversicherung mehr Kenntnis als bei der privaten Krankenversicherung haben dürfte.
Obwohl längstens in der Rechtssprechung gesichert, hat der Gesetzgeber im neuen Patientenrechtegesetz auch die Grundsätze der Einwilligung des Patienten – diese ist bei jedem Eingriff erforderlich – und die Aufklärungspflicht seitens des Behandelten geregelt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die im Patientenrechtegesetz jetzt geregelte neue Verpflichtung des Behandelnden, dem Patienten Abschriften solcher Unterlagen auszuhändigen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung und Einwilligung unterschrieben hat. Erfasst werden von dieser Verpflichtung vor allem Aufklärungsbögen, welche der Patient im Aufklärungsgespräch unterzeichnet hat. Für die tägliche Praxis steht dieser Regelung eine nicht geringe Bedeutung zu, weil gerade durch diese Verpflichtung des Behandelnden die Rechte der Patienten gestärkt werden, in dem ihm nämlich die Möglichkeit verschafft wird, beispielsweise das zuvor geführte Aufklärungsgespräch zu einem späteren Zeitpunkt anhand eines erhaltenen Aufklärungsbogens noch einmal und richtig nachvollziehen zu können. Auch sind hier die beweisrechtlichen Aspekte nicht zu unterschätzen, die mit der Aushändigung einhergehen können.
Von ebenfalls großer Bedeutung ist die jetzt im Patientenrechtegesetz geregelte und den Behandelnden treffende Dokumentationspflicht und das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die Patientenakte. Die Dokumentationspflicht des Behandelnden dient dabei vor allem dem Zweck, eine sachgerechte therapeutische Behandlung und Weiterbehandlung zu gewährleisten und den Behandelnden dazu anzuhalten, Rechenschaft über die von ihm vorgenommene Behandlung abzulegen. Besonders hervorzuheben ist, dass ausdrücklich im Gesetz bestimmt ist, dass zur Schaffung einer fälschungssichereren Dokumentation Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig sind, wenn der ursprüngliche Inhalt dabei erkennbar bleibt. Die nunmehr im Gesetz geregelte Berechtigung des Patienten zur Einsichtnahme in seine Patientenakte dient der Beweissicherung und dem Selbstbestimmungsrecht. Dieses Recht des Patienten erstreckt sich auf sämtliche dokumentierte Aspekte. Seine Grenze findet das Einsichtnahmerecht regelmäßig nur in zwei Gründen, nämlich in dem gesundheitlichen Zustand des Patienten und den Persönlichkeitsrechten Dritter.
Einen ganz zentralen Punkt des neuen Gesetzes bilden die arzthaftungsrechtlichen Beweis-Regelungen. Auch im Arzthaftungsrecht gilt grundsätzlich die allgemeine Grundregel der Beweislastverteilung, nach der jede Partei die ihr günstigen Merkmale zu beweisen hat. Im Falle eines Arzthaftungsanspruches müsste deshalb der Patient die anspruchsbegründenden, der Behandelnde die anspruchshindernden, vernichtenden und hemmenden Tatsachen nachweisen. Die gerichtliche Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen steht und fällt – fast immer – dabei regelmäßig mit den Möglichkeiten der Beweiserbringung. Ebenfalls regelmäßig wird sich allerdings der Patient in einer Beweisnot befinden, begründet durch seine fehlenden Kenntnisse über medizinische Behandlungen und ihre Auswirkungen sowie der diesen zugrunde liegenden organisatorischen Abläufe. Die Rechtssprechung im Arzthaftungsrecht trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, dass sie zugunsten des Patienten gesonderte Beweisregeln entwickelt hat, teilweise in Gestalt von Beweiserleichterungen, teilweise in einer echten Umkehr der Beweislast.
Ziel der die Beweislast regelnden Bestimmungen im neuen Gesetz ist es nunmehr, diese von der Rechtssprechung entwickelten beweisrechtlichen Sonderregeln systematisch zusammenzufassen. Konkret regelt das neue Gesetz die Beweislast bei Haftung wegen Verletzung vollbeherrschbaren Risiken, bei fehlendem Vorliegen von Einwilligung und Aufklärung, bei fehlender Dokumentation, bei Anfängerfehlern, groben Behandlungsfehlern und bei Unterlassung der medizinisch gebotenen Befundsicherung, und zwar jeweils unter genauer Festlegung desjenigen anspruchsbegründenden Merkmals, auf das sich die Beweislast der Sonderregelung bezieht.
Hingewiesen werden soll noch darauf, dass im Zusammenhang mit dem neuen Patientenrechtegesetz Patientenrechte auch gegenüber der Krankenkasse gestärkt worden sind; eine entsprechende Regelung wurde neu über das SGB V eingefügt. Danach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen „zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang“ zu entscheiden. In Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des MDK eingeholt wird, ist innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden.
Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für notwendig hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die Ablehnung oder die verspätete Entscheidung, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.
Soweit zum „neuen“ Patientenrechtegesetz, das eigentlich – zumindest inhaltlich – gar kein neues Patientenrecht begründet, also schafft, sondern nur wie eingangs schon gesagt, die über Jahrzehnte gewachsene höchstrichterliche Rechtssprechung, eben Richterrecht – „6 BGH – Senat“ – erstmals kodifiziert und nur an einigen Stellen – und hier auch nur marginal – ergänzt, vertieft, im Kern aber nichts wirklich Neues „bringt“. Ein Vorteil – vor allem für die Patientinnen und Patienten – ist ohne Frage die Zusammenfassung aller einschlägigen Bestimmungen und natürlich des Richterrechts überhaupt; sicherlich sind damit mehr Rechtssicherheit und Transparenz – so will es der Gesetzesgeber – verbunden; Patienten und Ärzte soll das Gesetz nämlich auf „Augenhöhe“ bringen.
Was sind dann Konsequenzen aus dem neuen Patientenrechtegesetz? Es ergibt sich schnell, wenn man in der Begründung des Gesetzesentwurfs den die Bundesregierung im Bundestag eingebracht hat, und liest, dort heißt es u.a. zum „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ nämlich wörtlich:
„A. Problem und Ziel
Patientenrechte sind in Deutschland derzeit in einer Vielzahl von Vorschriften in verschiedenen Rechtsbereichen – zum Teil lückenhaft – geregelt. Auf dem Gebiet des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts steht Wesentliches nicht im Gesetz, sondern ist Richterrecht. Dies erschwert es allen Beteiligten im Gesundheitswesen, die Rechte zu kennen, und vor allem den Patientinnen und Patienten, diese Rechte einzufordern. Auch die Komplexität der Medizin und die Vielfalt von Behandlungsmöglichkeiten verlangen nach einem gesetzlichen Rahmen, der Patientinnen und Patienten sowie Behandelnde auf Augenhöhe bringt. Risiko– und Fehlervermeidungssysteme können dazu beitragen, die Behandlungsabläufe in immer komplexer werdenden medizinischen Prozessen zum Schutz der Patientinnen und Patienten zu optimieren. Richtig verstandener Patientenschutz setzt nicht auf rechtliche Bevormundung, sondern orientiert sich am Leitbild des mündigen Patienten. Deshalb gilt es, Transparenz und Rechtssicherheit hinsichtlich der bereits heute bestehenden umfangreichen Rechte der Patientinnen und Patienten herzustellen, die tatsächliche Durchsetzung dieser Rechte zu verbessern, zugleich Patientinnen und Patienten im Sinne einer verbesserten Gesundheitsversorgung zu schützen und insbesondere im Fall eines Behandlungsfehlers stärker zu unterstützen.
B. Lösung
Die Rechte der Patientinnen und Patienten werden transparent, verlässlich und ausgewogen gestaltet sowie bestehende Vollzugsdefizite in der Praxis abgebaut. Dazu sieht der Gesetzentwurf folgende Regelungen vor:
– Kodifizierung des Behandlungs- Arzthaftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch,
– Förderung der Fehlervermeidungskultur,
– Stärkung der Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern,
– Stärkung der Rechte gegenüber Leistungsträgern,
– Stärkung der Patientenbeteiligung,
– Stärkung der Patienteninformation.
C. Alternativen
Keine“.
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Rechte der Patientinnen und Patienten werden effektiver gestaltet. Alles für ihn wirklich Wichtige hat der Gesetzgeber in acht §§ zusammengefasst, schnell auffindbar und vor allem transparenter.
Und die Konsequenzen für den Behandelnden, die Ärzte vor allem?
Sie werden noch umfassender aufklären und erklären müssen, auch über eigene und fremde Behandlungsfehler, vor allem auch wirtschaftlich aufklären und so genau wie möglich sowie zeitnah dokumentieren müssen, und zwar nicht zuletzt im eigenen Interesse, um nicht noch eher und noch mehr in die Haftung zu geraten.
B. Lübbe